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Winterstille [Inoffizieller Glückskeks 2012]

FanFiction zur TV-Serie "Superman - die Abenteuer von Lois und Clark" (orig. "Lois and Clark - the New Adventures of Superman")

Winterstille [Inoffizieller Glückskeks 2012]

Beitragvon Vega » Do 14. Jun 2012, 18:58

Hallo! Entgegen anders lautender Gerüchte - ich bin nicht weg. Und ich habe euch auch nicht vergessen. Aber da das mit dem regelmäßigen erscheinen bei mir so eine Sache ist (und von Versprechen wollen wir mal lieber nicht anfangen), habe ich mich nicht offiziell an der Glückskeks-Challenge beteiligt. Inoffiziell hatte ich aber doch Lust. Und so kommt hier mit reichlicher Verspätung mein Beitrag. Ich hoffe, ihr habt ein wenig Spaß daran.

Disclaimer: Wie immer - die Charaktere gehören mir nicht, ich borge sie mir nur für ein kleines bisschen Vergnügen im harten Alltag. ;)

Winterstille

Die Winterstille
Vom Dröhnen des Wogenpralls
Laut widerhallte.


Ein kräftiger Blitz zeriss den finsteren Himmel über Metropolis. Gleich darauf hallte das Donnergrollen durch die Straßen und dröhnte in Clark Kents Ohren. Ein Wintergewitter wie dieses hatte er bislang nur selten erlebt, nicht einmal im sturmerprobten Kansas. Gleich darauf setzte ein kräftiger Schauer ein. Es war ein paar Grad zu warm für die Jahreszeit und Clark Kent war etwas zu einsam für seinen Geschmack.

Er starrte angestrengt in die enge Straße, die vor ihm lag. Sie gehörte zum düstersten Viertel von Metropolis – Hobbs Bay, genannt Suicide Slum. Nicht einmal seine ausgeprägten Sinne trugen dazu bei diesen Teil der Stadt weniger unheimlich erscheinen zu lassen. Ein weiterer Blitz zeriss die Nacht und trieb unwillkürlich einen Schauer über Clarks Rücken. Er hatte keine Angst vor dem Gewitter, aber die Weltuntergangsstimmung drückte auf sein Gemüt. Binnen weniger Minuten war er bis auf die Haut durchnässt. Und er zuckte mit jedem Donnergrollen zusammen, das in seinen Ohren schmerzte. Sein Gehör war der Sinn, den er vielleicht am wenigsten unter Kontrolle hatte.

Clark blieb stehen, als er die Stelle gefunden hatte, die sein Informant ihm beschrieben hatte. Die Gasse war verlassen. Nur einige Ratten huschten durch die Pfützen, doch der Klang ihrer Pfoten verlor sich im stetigen Prasseln des Regens. Clark begann sich zu fragen, warum er sich in Suicide Slum herumtrieb, statt Lois endlich um ein Date zu bitten. Er wusste nicht einmal genau, was er hier eigentlich finden sollte. Sein Informant war äußerst vage geblieben, hatte sich in der Vergangenheit jedoch immer als zuverlässig erwiesen. Also blieb Clark an der Straßenecke stehen und wartete.

Etwas polterte ein paar Meter entfernt zu Boden und Clark wandte rasch den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Sein Herzschlag beruhigte sich, als er die Umrisse einer schwarzen Katze ausmachte, die zwischen verrosteten Fässern umherkletterte. Offenbar waren Ratten nicht die einzigen Bewohner von Suicide Slum. Die Katze reckte ihren Kopf und Clark erkannte, dass eine der Ratten leblos in ihrem Maul hin und her baumelte. Dann sprang die Jägerin von den Fässern hinunter und verschwand in der Dunkelheit.

Clark warf einen Blick auf seine Uhr. Es war halb eins – seine Quelle verspätete sich. Doch das war nicht weiter ungewöhnlich. Mike, wenn er denn tatsächlich so hieß, gehörte zu den Menschen für die Zeit keine Rolle spielte. Er lebte auf der Straße und beteuerte immer wieder, dass ihm dieses Leben gefiel. Clark hatte ihn während einer Recherche für eine Geschichte über die Obdachlosenheime von Metropolis kennen gelernt. Er hatte keine Ahnung, wie genau es dazu gekommen war, aber Mike hatte Vertrauen zu ihm gefasst. Mike hatte einmal gesagt, dass Clark der erste Mann war, den er kennen lernte, der Menschen wie ihm eine Stimme gab. Der Artikel war längst vergessen, doch Mike war für Clark zu einer wertvollen Quelle geworden - eine der wenigen Quellen, die Lois nicht kannte.

Plötzlich hörte Clark Schritte und dann räusperte sich jemand schräg hinter ihm.

„Mike?“, fragte er in die Dunkelheit hinein.

„Clark?“ Vor Erleichterung seufzte Mike hörbar auf. „Ich brauche dringend deine Hilfe.“

„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte Clark entsetzt, als Mike sich aus der Dunkelheit löste. Sein Gesicht war verquollen und er meinte ein paar schillernde blaue Flecken auf seiner Wange auszumachen.

„Keine Zeit für Erklärungen“, drängte Mike und packte Clark unruhig am Arm. „Wir müssen von hier weg, sie sind hinter mir her.“

Verwundert folgte Clark dem völlig verstörten Mann, der zielsicher durch die Gassen von Suicide Slum eilte. Seine Schritte beschleunigten sich zusehends, bis er schließlich rannte. Immer wieder drehte er den Kopf und schielte nach einer Bedrohung, die Clark beim besten Willen nicht erkennen konnte. Nachdem Mike ein paar Haken geschlagen hatte, blieb er schließlich in einem verwitterten Hauseingang stehen und holte erschöpft Luft.

„Mike, was ist denn los?“, fragte Clark verwirrt und betrachtete besorgt die zerlumpte Gestalt, die nun nach Atem rang.

„Ich habe ihn gesehen.“ Mike starrte Clark mit vor Angst aufgerissenen Augen an. „Luthor“, flüsterte er heiser und seine Lippen zitterten leicht. „Ich habe es nicht glauben wollen, als das Gerücht auf der Straße auftauchte. Aber er ist hier. Erst wusste ich nicht, warum immer mehr von uns verschwinden, aber nun ist mir alles klar. Luthor versteckt sich in Suicide Slum und er tötet jeden, der ihn gesehen haben könnte. Und nun ist er hinter mir her!“

Die Welt schien sich um Clark zu drehen. Luthor? Wie konnte das sein? Der Mann war tot, unmöglich konnte er den Sturz vom Balkon seines Penthouses überlebt haben. Zugegeben, seine Leiche war und blieb verschwunden, aber… Clark roch die Mischung aus Dreck, Schweiß und kaltem Zigarettenrauch, die den Obdachlosen immer umgab. Alkohol war nicht dabei. So verrückt es auch klang, Clark war sicher, dass Mike die Wahrheit sagte.

„Wo hast du Luthor gesehen?“ Bewusst ließ er die Luft langsam durch seine Nase ein- und ausströmen und versuchte sich zu beruhigen. „Bist du dir sicher, dass er es war?“

„Aber ja“, bestätigte Mike lebhaft und schaute sich ängstlich um, so als erwartete er, dass der einstige König der Unterwelt jeden Moment auftauchen könnte. „Ich sage dir doch, Clark, es war Luthor. Er hat jetzt keine Haare mehr, aber er war es ganz bestimmt. Er war unten am alten Hafen. Auf der Straße heißt es, dass er sich in den Tunneln der Kanalisation herumtreibt.“

„Komm mit mir“, bot Clark an und fühlte für einen Moment seinen Herz schneller schlagen. War er zu weit gegangen? Mike jedenfalls wich einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf.

„Das kann ich nicht annehmen“, lehnte er ab und klang dabei eine Spur beleidigt. „Suicide Slum ist mein zu Hause“, sagte er fest. „Lex Luthor wird mich nicht hier wegdrängen.“

„Mike, bitte“, flehte Clark leise und spürte, wie sich feine Härchen in seinem Nacken aufstellten. „Ich dachte, du wolltest meine Hilfe.“ Er schaute sich rasch um. Mike hier zu beschützen war selbst für ihn so gut wie unmöglich, selbst wenn er seine Zeit vollständig auf diese Mission verwendete. Suicide Slum war zu unübersichtlich mit viel zu vielen dunklen Ecken und vermutlich kannten nicht einmal die Ratten jedes Versteck.

„Nein, Clark! Nicht so“, erklärte Mike entschlossen und wich noch ein paar Schritte zurück. „Du musst ihn auffliegen lassen, ganz einfach. Schreib über seine Rückkehr. Bring die Polizei dazu hier alles abzusuchen Dann kann er hier niemandem mehr etwas tun.“

Eine Gänsehaut breitete sich auf Clarks Rücken aus und mit jedem Atemzug verstärkte sich sein ungutes Gefühl. Etwas war nicht in Ordnung. Doch so sehr er seine Sinne auch anstrengte, er hörte herzlich wenig. In weiter Ferne klickte etwas, doch das Geräusch wurde übertönt von Polizeisirenen, die sich rasch näherten. Clark brachte sein Gehör wieder unter Kontrolle, doch die Sirenen klangen noch immer laut in seinen Ohren.

„Wir müssen fort von hier, Mike“, brachte er über den Lärm hinweg hervor.

Und dann, als bräche die Hölle los, flogen Kugeln an seinem Ohr vorbei. Clark warf sich blindlings auf Mike und schützte ihn mit seinem Körper. Die Schüsse schienen gar nicht mehr verebben zu wollen. Unruhig sah Clark sich um. Er konnte nicht ausmachen, woher die Schüsse kamen. Wie war das möglich? Wie spitze Nadelstiche spürte er die Kugeln von seiner Haut abprallen.

Clark rappelte sich auf und zog Mike mit sich. Wo waren die Schützen? Angestrengt starrte Clark in die Dunkelheit und sah eine Reflexion. Unter seinem Blick glühte der Lauf eines Gewehrs rot auf und beleuchtete für den Bruchteil einer Sekunde das Gesicht, des Mannes, der es bedient hatte. Es genügte nicht, um ihn zu erkennen. Einem zweiten Schützen erging es ähnlich. Und endlich verstummten die Gewehre und es legte sich wieder eine gespenstische Stille über das heruntergekommene Viertel.

Clark drängte Mike in einen Hauseingang und spürte förmlich, wie Mike ihn mit Blicken durchbohrte. Sein Mund stand weit offen und auf seinem Gesicht spiegelte sich die Erkenntnis. Beunruhigt stellte Clark fest, dass ihm in dem Durcheinander seine Brille von der Nase gerutscht sein musste. Nicht, dass eine Brille ihm jetzt noch helfen würde, Mike zu täuschen.

„Du… bist Superman“, fasste Mike das Offensichtliche in Worte.

Clark nickte nur, der Versuch zu leugnen wäre absolut zwecklos. Eine Weile starrten sich die beiden Männer nur wortlos an. Die Zeit dehnte sich zäh, während Clark sich fragte, was er jetzt wohl sagen konnte. Dass Mike unverletzt war, grenzte an ein Wunder. Darüber war Clark vor allem erleichtert. Doch nun kannte jemand sein Geheimnis, dem er es sicher nie freiwillig anvertraut hätte.

„Du hast mir das Leben gerettet“, sagte Mike leise. „Danke.“

„Ich…“ Clark holte tief Luft und versuchte die aufsteigende Panik zu bekämpfen. „Könnte das unter uns bleiben?“, fragte er nervös.

„Klar, Mann“, erklärte Mike verwundert. „Das glaubt mir eh keiner.“

Clark rang sich ein Lächeln ab. Er konnte nur hoffen, dass es so war.

* * *

Gedankenverloren rieb Clark sich die Augen. Er hatte in der Nacht kein Auge zugetan. Zu beschäftigt war er mit Mike und der Tatsache, dass sein Geheimnis heraus war. Vergeblich hatte er Mike versucht davon zu überzeugen, dass er die Stadt verlassen musste. Aber da hatte er auf Granit gebissen.

Um Clark herum versank die Redaktion im üblichen Chaos. Jimmy eilte hierhin und dorthin, sammelte Fotos und erledigte Recherchen. Lois führte ein Telefonat nach dem anderen und versuchte aus Henderson herauszubekommen, was es mit der Schießerei in Hobbs Bay auf sich hatte. Clark konnte nur hoffen, dass Mike dicht hielt. Und das Luthor ihn nicht in die Finger bekam.

Clarks Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Er war dicht davor gewesen, Mike einfach zwangsweise an einen sicheren Ort zu bringen. Vielleicht sollte er es tun. Sein ganzes Leben und auch das seiner Eltern hing davon ab, dass sein Geheimnis ein Geheimnis blieb. Doch gab ihm das das Recht, seine Kräfte auf diese Art einzusetzen? Andererseits wäre Mike dann auch vor Luthor sicher. Das war doch ganz bestimmt das kleinere Übel!

„Hey, Clark“, riss Lois ihn aus seinen Gedanken und hielt ihm einen Becher mit Kaffee hin. „Was ist denn mit dir los? Du siehst erschöpft aus“, bemerkte sie, wartete eine Antwort aber nicht ab. Sie setzte sich auf den Rand seines Schreibtisches. „ Ich habe gerade mit Henderson gesprochen und er hat mir erzählt, dass die Schießerei gestern Nacht in Hobbs Bay bei weitem nicht die erste war. Eine ganze Reihe von Männern sind dort in letzter Zeit erschossen worden, mehr als sonst. Die meisten von ihnen waren obdachlos. Und nun kommt das Beste – keine einzige Kugel wies Spuren auf“, meinte sie triumphierend und gönnte sich einen großen Schluck Kaffee.

„Oh“, war alles, was Clark dazu einfiel. Er hatte ihr kaum zugehört.

„Clark, da steckt etwas dahinter“, fügte Lois aufgeregt hinzu und wippte unruhig auf dem Schreibtisch hin und her. „Komm schon, wir müssen herausfinden, ob jemand in Suicide Slum etwas gesehen hat.“ Lois sprang auf und riss Clark den Kaffeebecher vor der Nase weg, bevor er ihn in die Hand nehmen konnte.

Einen Moment lang blickte Clark ihr hinterher, dann wurde ihm plötzlich bewusst was sie gesagt hatte. Rasch erhob sich Clark und schloss mit ein paar ausgreifenden Schritten zu Lois auf. Er streckte seine Hand nach ihrer Schulter aus und riss sich im letzten Augenblick zusammen, um es nicht zu heftig zu machen. Erschrocken zuckte seine Partnerin zusammen und drehte sich verwundert zu ihm um.

Für ein paar Sekunden starrte Clark seine Partnerin wortlos an. „Lois, ich muss dir dringend etwas erzählen“, stammelte er schließlich und bedeutete ihr ungeschickt, ihm in den Konferenzsaal zu folgen.

Clark konnte den Ausdruck von Ungeduld in ihrem Blick sehen. Doch dann überwog die Neugierde und sie hob, halb interessiert eine Braue.

„Es hat mit der Schießerei zu tun“, warf Clark ihr den Knochen hin, von dem er wusste, dass er ihm ihre Aufmerksamkeit sicherte. „Ich denke, ich weiß, wer dahinter steckt.“

Lois hob verwundert eine Braue. Aber als er nicht weiter sprach, folgte sie ihm schließlich in den Konferenzraum. Clark stellte sicher, dass die Tür verschlossen war und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Er atmete langsam aus, während er überlegte, wie viel er Lois sagen konnte. Sollte er nur über Luthor reden oder war es Zeit, die Katze endgültig aus dem Sack zu lassen? Er dachte schließlich schon seit Wochen darüber nach, ihr zu sagen, dass er Superman war. Aber wie sollte er ihr das schonend beibringen?

„Komm schon, Clark. Mach es nicht so spannend. Was weißt du?“ Lois hielt die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte sich gegen einen der Tische. Ihr Körper wirkte angespannt, so als wäre sie über diese Unterbrechung nicht erfreut.

„Ich habe gestern Nacht einen Informanten getroffen“, gestand Clark leise. „Er hat darauf bestanden, mich allein zu treffen. Wir haben uns bei einer Story kennen gelernt. Mike lebt in Suicide Slum. Er ist obdachlos. Mike hatte Angst, dass er verfolgt wird. Er hat mir von den Morden in Suicide Slum erzählt und fürchtete, dass er der Nächste sein würde.“

Unruhig trat Clark von einem Fuß auf den anderen. Er konnte an Lois’ Gesicht ablesen, dass er sich weitere Verzögerungen nicht leisten konnte. Die Furche auf ihrer Stirn war ein deutliches Zeichen für ihn, dass er zum Punkt kommen musste.

„Mike denkt, dass er Luthor gesehen hat“, schloss Clark und beobachtete Lois nervös.

Ihre Lippen zitterten leicht, doch sie sagte nichts. Lois’ Augen waren eine Spur größer geworden. Es war so still, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können.

„Aber Luthor ist tot“, sagte Lois schließlich nach einer schieren Ewigkeit. „Er… er ist von seinem Hochhaus gesprungen.“

„Ich weiß“, gab Clark zurück und spürte, wie sein Mund trocken wurde.

Ein vertrautes, flaues Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus, dass ihn immer beschlich, wenn er an Luthors Tod dachte. Er hatte sich nie richtig damit abgefunden, dass er zu schwach gewesen war, um ihn zu retten. Nun, wie es aussah, hatte er seine Hilfe letztlich nicht gebraucht.

„Luthor darf uns nicht noch einmal einfach davonkommen“, sagte Lois entschlossen und ihre Lippen wurden schmal. „Ich kann nicht glauben, dass ich mich von ihm habe täuschen lassen. Ich…“ Sie hielt für einen Moment inne und musterte Clark besorgt. „Warst du gestern bei dieser Schießerei etwa dabei?“, fragte sie plötzlich.

Ein wenig überrumpelt starrte Clark sie an. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Lois nach dieser Botschaft noch seine eigene Rolle in der Sache hinterfragen würde. Aber sie blickte ihn fest an und ihre immer noch über der Brust verschränkten Arme waren Zeichen genug, dass sie ihn nicht so leicht vom Haken lassen würde.

„Ja“, gab Clark leise zu und trat unruhig von einem Bein aufs andere. „Mike hat mich angerufen und wollte mich in Suicide Slum treffen. Dann fanden wir uns auf einmal mitten in einem Kugelhagel wieder.“

Lois schluckte und ihr Blick glitt über Clark, als wollte sie sich noch einmal versichern, dass ihm nichts passiert war. Seit John Dillinger auf ihn geschossen hatte, stand ihr jedes Mal die Sorge ins Gesicht geschrieben, wenn ihm Gefahr drohte. Leider hatte diese neue Gefühlsregung nicht dazu geführt, dass Lois selbst vorsichtiger war.

„Wir haben einen Hauseingang gefunden, in dem uns nichts passieren konnte“, wiegelte Clark ab. „Superman muss uns geholfen haben. Jedenfalls hörte die Schießerei ziemlich schnell auf.“ Die Ausrede kam automatisch, noch bevor sich Clark dafür wappnen konnte, was vielleicht der bessere Weg gewesen wäre.

Lois runzelte die Stirn. „Wenn er euch tatsächlich geholfen hat, ist es doch seltsam, dass er nicht offen aufgetreten ist“, sagte sie nachdenklich.

Lois reichte sie ihm auf einem Silbertablett – die Gelegenheit endlich reinen Tisch zu machen. Sie hatte die Wahrheit längst verdient und Clark war sich dessen bewusst. Aber sein Herz raste und sein Hals schien immer enger zu werden. Er öffnete den Mund, doch kein Ton kam heraus. Er spürte die feinen Schweißperlen auf seiner Stirn und wusste, dass er es ihr nicht sagen konnte. Nicht jetzt, nicht hier. Nicht, weil er keine andere Wahl mehr hatte, als sie einzuweihen.

„Vielleicht hatte er viel zu tun“, gab Clark lahm zurück und hoffte, dass sie sich nicht an der Sache festbeißen würde. „Ist doch letztlich auch vollkommen egal. Wichtig ist vielmehr, dass Luthor wieder da ist und versuchen wird, zurück zu erlangen was er verloren hat.“

Lois nickte langsam und ihre Lippen zitterten leicht. „Glaubst du, dass er Rache will?“, fragte sie leise und blickte unruhig zur Tür, so als erwarte sie, dass Luthor jederzeit herein kommen würde. „Ich meine, ich habe ihn am Altar stehen lassen und du… hast geholfen, die Beweise zu sammeln, die fast zu seiner Verhaftung geführt hätten.“

Es hatte keinen Sinn sich etwas vorzumachen. Clark ahnte, dass er weit oben auf Luthors Abschussliste stand, sowohl als Superman als auch als Clark Kent. Um sich selbst machte er sich aber nicht halb so viele Sorgen wie um Lois.

„Wir müssen ihn finden, Clark. Bevor er uns findet. Diesmal müssen wir ihm einen Schritt voraus sein. Henderson wird uns vermutlich für verrückt halten. Ich meine, alle Welt hält Luthor für tot. Und ein betrunkener Obdachloser wird nicht gerade als sichere Quelle zu verwerten sein“, begann Lois sich hektisch einen Plan zurecht zu legen. Sie machte kaum eine Pause um Atem zu holen und sprach schon weiter. „Superman muss auch Bescheid wissen, vielleicht kann er uns helfen. Am besten wir verkleiden uns auch als Obdachlose und schleichen uns nach Suicide Slum. Was meinst du?“

Die Frage war rhetorisch und Clark hatte es auch nicht anders erwartet. Wann hätte Lois schon mal auf einen seiner Einwände gehört? Nun stürmte sie an ihm vorbei und ließ Clark verdattert stehen. Die Tür des Konferenzraums fiel hinter ihr ins Schloss. Doch selbst gedämpft durch die Tür konnte Clark hören, wie Lois über den Lärm der Redaktion hinweg nach Jimmy rief und ihn losschickte um einige Besorgungen zu machen. Es stand außer Frage, dass sie bei Einbruch der Dämmerung durch Suicide Slum schleichen würden, auf der Suche nach dem Versteck von Lex Luthor.

Kaum eine Sekunde später riss sie die Tür zum Konferenzraum erneut auf. „Jimmy besorgt uns die Verkleidung. Ich versuche von meiner Quelle am Gericht zu erfahren, was damals aus Luthors Vermögen geworden ist. Versuch du von deiner Quelle zu erfahren, wo sich Luthor aufhält.“

„Lois, ich muss dir noch…“ brachte Clark mühsam hervor.

„Wir treffen uns heute Abend in Suicide Slum“, fuhr Lois fort, ohne ihn weiter zu beachten und schon fiel die Tür des Konferenzraums wieder hinter ihr ins Schloss.

Fortsetzung folgt...
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Winterstille [Inoffizieller Glückskeks 2012]

Beitragvon Vega » Mo 18. Jun 2012, 18:08

„Ich könnte dich aus der Stadt bringen, wenigstens für ein paar Tage bis die ganze Sache gelöst ist“, raunte Clark eindringlich über den Tisch hinweg. Er spürte die Blicke der Männer um ihn herum förmlich im Nacken. In den heruntergekommenen Räumlichkeiten einer Suppenküche in Suicide Slum war er auffällig wie ein bunter Hund.

Mike schüttelte nur den Kopf und tauchte seinen Löffel unbeirrt in den dampfenden Eintopf, der vor ihm stand. „Das ist sehr nett von dir, aber ich werde diese Stadt nicht verlassen. Ich bin hier zu Hause und wenn ich sterben muss, dann hier“, gab Mike leise zurück.

Der Fatalismus des Obdachlosen irritierte Clark. Mike sprach oft übers Sterben, als würde ihm der Gedanke an seinen eigenen Tod nicht weiter beunruhigen.

„Ich habe dich nicht angerufen, damit du mein Leben rettest, sondern damit du dafür sorgst, dass nicht noch mehr von uns verschwinden“, stellte Mike noch einmal klar.

„Aber…“, begann Clark und stockte.

Noch immer hingen die Augenpaare der anderen Gäste auf ihm und verfolgten neugierig jede seiner Bewegungen. Liebend gern hätte Clark dieses Gespräch vor der Tür fortgeführt, aber in Sachen Sturheit war Mike eine weit härtere Nuss als Lois Lane. Er fuhr fort seinen Eintopf zu essen, als würden sie über nichts weiter als das Wetter reden.

Er schaute Clark nicht einmal an, als er beiläufig fragte: „Hast du Angst um mich oder um dein Geheimnis?“

„Mike, ich…“ Natürlich sorgte er sich um Mike, aber das war nicht alles. Er war in der Tat beunruhigt, dass die Welt erfahren könnte, wer Superman in Wirklichkeit war. Aber Clark machte sich auch Sorgen um Mike. Luthor war einflussreich, das hatte sich vermutlich nicht geändert. Seine Macht hatte sich nicht allein auf ein gut gefülltes Bankkonto gegründet.

„Ich kann dich hier nicht beschützen“, antwortete Clark schließlich leise. „Selbst ich kann nicht überall gleichzeitig sein. Warum willst du dein Leben für ihn riskieren?“

Mike zog es vor nicht zu antworten, von seiner Warte aus war alles gesagt. Er schaute nicht einmal mehr zu Clark auf, während er Löffel um Löffel zum Mund führte und mit einem leisen, schlürfenden Geräusch leerte. Sein wortloser Rausschmiss hätte kaum deutlicher formuliert sein können. Mit jeder Minute, die verstrich, ohne dass Mike auf ihn reagierte, fühlte Clark sich unwohler in seiner Haut. Er schwang seine Beine über die Bank, stand auf und ging.

Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, Mike einfach zu packen und auf eine einsame Insel mitten im Pazifik zu verfrachten. Vielleicht würde Mike nie mehr mit ihm reden, aber er wäre wenigstens am Leben. War es das nicht wert? Unschlüssig blieb Clark ein paar Meter von Mike entfernt stehen.

„Hast du Angst um mich oder um dein Geheimnis?“ klang Mikes Stimme in seinen Ohren.

Ging es ihm hier wirklich um Mike? Gab ihm seine Sorge um Mikes Leben das Recht einfach so über dieses Leben zu bestimmen? Dürfte er sich einmischen, nur weil er es konnte? Die Antwort war ebenso einfach wie schwierig. Viel hing davon ab, dass er sein Geheimnis bewahrte. Superman brauchte den Mythos.

Als könnte Mike seine Gedanken lesen, blickte er noch einmal von seinem Eintopf auf. Seine Augen fixierten Clark mit eisernem Blick für ein paar Herzschläge. Damit war alles gesagt.

Und Clark hatte verstanden. Er wusste, er dürfte seine Kräfte nicht auf diese Weise einsetzen, das hatte er sich immer geschworen. Den nächsten Schritt zu tun, kostete Clark Mühe. Er riss seinen Blick von Mike los, der weiter unbeirrt seinen Eintopf aß. Clark verließ die Suppenküche und fragte sich, ob er diesen Schritt am Ende wohl bereuen würde.

Wie immer die Sache ausging, es gab kein richtig oder falsch. Es gab nur eine Entscheidung – die Entscheidung Mikes Wünsche zu respektieren.

* * *

Eine Stunde später verließ Clark frustriert das Stadtarchiv. Er hatte nicht mehr gefunden, als einen Zugang zu der Kanalisation, von dem aus sie ihre Suche nach der Nadel im Heuhaufen beginnen konnten. Die Baupläne hatten nicht mehr viel damit zu tun, wie es nun tatsächlich unter Hobbs Bay aussah. Bei seinem Erkundungsflug in der Nacht hatte Clark dort unten viele Bunker gefunden, die meisten davon mit Blei verkleidet. Sie boten Luthor das perfekte Versteck, geschützt selbst vor seinem Röntgenblick. Clark ahnte, dass Luthor seinen Unterschlupf durchaus mit Bedacht ausgewählt hatte.

Clark blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. Noch war genug Zeit für einen weiteren Erkundungsflug über die Stadt. Gerade, als er die letzten Stufen des Archivgebäudes hinunter lief, begann der Peeper an seinem Gürtel zu vibrieren. Clark erkannte mit einem Blick Jimmys Nummer und schaute sich nach einer Telefonzelle um. Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite standen gleich eine ganze Reihe ramponiert aussehender Telefone. Aber Clark fand schließlich doch eines, das funktionierte und wählte die Nummer des Planet.

„Jimmy Olson, Daily Planet.“

„Hallo, hier ist Clark. Du hast mich angepeept. Was gibt es denn?“ wollte Clark wissen.

„Hi, Clark. Lois wollte wissen, ob du schon weiter gekommen bist, was Luthors mögliches Versteck angeht“, erklärte Jimmy ohne Umschweife. Dem Ton in seiner Stimme nach zu Urteilen rollte Jimmy bei diesen Worten vermutlich mit den Augen. „Außerdem dachte ich, du wüsstest vielleicht gerne, dass Luthors alter Anwalt Sheldon Bender heute Vormittag für eine Stunde plötzlich verschwunden war. Er meinte hinterher, es wäre der Scherz einiger Schulfreunde gewesen.“

„Du meinst, Luthor hat Bender entführt?“, fragte Clark, der ahnte, worauf Jimmy hinaus wollte. „Aber warum?“

„Bender hat Luthors Nachlass verwaltet“, erläuterte Jimmy.

Clark dachte einen Augenblick nach. „Sieht aus, als wäre es ihm noch nicht gelungen, sein altes Vermögen zurück zu erlangen. Das hört sich erstmal gut an. Aber warum hat er Bender einfach so frei gelassen? Nach allem, was wir wissen, ist Luthors Vermögen in alle möglichen Entschädigungszahlungen geflossen. Stern allein muss nach dem Aufbau des Daily Planet ein hübsches Sümmchen als Entschädigung bekommen haben.“

„Ich habe mal ein bisschen recherchiert. Was von Luthors Vermögen übrig geblieben war, ist an ein paar Waisenhäuser gegangen, da er keinen legitimen Erben hatte“, ergänzte Jimmy. „Falls er kein Geheimkonto hatte, das unentdeckt geblieben ist, dann ist Luthor pleite.“

Clarks Gedanken rasten. Warum hatte Luthor Bender frei gelassen? Wenn er weiterhin unentdeckt bleiben wollte, wäre es für ihn einfacher gewesen, den unliebsamen Zeugen aus dem Weg zur räumen. Bender musste ihm etwas angeboten haben, dass seine Freilassung rechtfertigte. Clarks Magen machte einen Satz.

„Clark, bist du noch da?“, fragte Jimmy, dem das Schweigen in der Leitung zu lange dauerte.

„Ja. Kannst du die Namen von Benders Klienten für mich herausfinden?“ bat Clark und versuchte sich einzureden, dass es nichts gab, worüber er sich sorgen machen musste. Wie sollte jemand wie Bender an Kryptonit kommen?

„Ich kann’s versuchen“, erwiderte Jimmy zweifelnd. „Das fällt unter das Anwalts-Geheimnis, weißt du?“

„Ich vertrau auf dich“, meinte Clark nur, nannte Jimmy kurz einen Treffpunkt nahe eines Eingangs zu den Tunneln unter Suicide Slum und hängte den Hörer ein. Sein Herz klopfte wild und das ungute Gefühl in seiner Magengegend verstärkte sich noch. Es war so offensichtlich, dass Clark sich dafür schalt, dass er nicht früher daran gedacht hatte. Seit Superman in Erscheinung getreten war, bedeutete Geld für Luthor längst nicht mehr das ultimative Mittel zu mehr Macht. Was auch immer Luthor plante, er würde sicherstellen wollen, dass er Kryptonit hatte.

Clark eilte von der Telefonzelle weg, bemüht nicht zu gehetzt zu wirken, während er einen Ort suchte an dem er sich ungestört in Superman verwandeln konnte. Der Platz vor dem Stadtarchiv schien stärker bevölkert als sonst. Überall waren Menschen, die mit kleinen Taschen bepackt zum Mittagessen stürmten. Es war wie verhext. Wann immer Clark sich einigermaßen einsam glaubte, stürmte jemand anderes an ihm vorbei. Schließlich hatte Clark eine versteckte Ecke gefunden und verschwand in einem Wirbel aus Farben in den Himmel über Metropolis.

* * *

Clark spähte nervös über den Rand seiner Brille hinweg auf die Uhr, die fast zwei Blocks entfernt an einer Straßenecke stand. Lois verspätete sich, und das kam so gut wie nie vor. Jedenfalls nicht, wenn sie einer Story auf der Spur war. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen und schalt sich dafür, dass er nicht darauf bestanden hatte, Lois abzuholen. Aber das hätte vermutlich wenig genutzt, denn Lois hatte ihren eigenen Kopf.

So sehr er sich darum bemüht hatte, auch Superman hatte wenig erfolg auf der Suche nach Luthor gehabt. Eine kurze Stippvisite bei Dr. Klein hatte ihn zumindest dahingehend beruhigt, dass kein Kryptonit aus den StarLabs gestohlen worden war. Aber Luthor mochte andere Quellen haben. Jimmys Suche nach Benders anderen Klienten hatte ein paar Namen ans Licht gebracht, darunter Ronnie Vale, von dem Clark wusste, dass er einst Kryptonit besessen hatte. Aber er war sich ziemlich sicher, dass das zusammen mit seinem Cyborg zerstört worden war.

Nach seinen gescheiterten Versuchen Lois die Wahrheit über seine geheime Identität zu sagen, hatte er keine weitere Gelegenheit mehr erhalten. Er hatte Lois nur noch einmal kurz in der Redaktion getroffen, als sie ihn auf den neuesten Stand gebracht hatte. Lois hatte jeden Informanten angerufen, der ihr eingefallen war, und hatte körbeweise Essen zu Bobby Bigmouth geschleppt. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war das Ergebnis unbefriedigend geblieben. Doch wann immer Lois auf ein Hindernis stieß, wurde sie nur umso entschlossener. Clark hatte sie seit dem späten Nachmittag nicht mehr gesehen.

Clark seufzte und richtete seinen Blick erneut auf die Uhr. Es waren kaum fünf Minuten vergangen, aber auch diese kurze Zeitspanne kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Er lauschte nach den Geräuschen der Stadt. In dem Gewirr von Stimmen, hupenden Autos und quietschenden Reifen konnte er Lois’ Herzschlag nirgends ausmachen.

„Komm schon“, flüsterte er eindringlich und versuchte sich Gründe für Lois’ Verspätung auszudenken.

Steckte sie im Stau? Doch Clark wusste nur allzu gut, dass sie nicht mit dem Auto kommen würde. Ging ihre Uhr ging nach? Wenn überhaupt ging ihre Uhr vor, sie hasste es etwas zu verpassen. War sie nur zu spät losgegangen? Clark hätte darauf wetten können, dass sie schon eine halbe Stunde vor ihm in Suicide Slum angekommen war. Nein, mit jeder Minute, die verstrich, war er mehr beunruhigt.

Noch einmal warf Clark einen Blick auf die Uhr. Sieben Minuten – es war lächerlich sich jetzt schon solche Sorgen zu machen. Andererseits war Lex Luthor wieder in der Stadt und das allein war Grund zur Sorge. Die Erinnerung daran, dass seine Hochzeit mit Lois unterbrochen worden war, musste ihn schier in den Wahnsinn treiben. Auch war es ihm nicht gelungen, seinen Erzfeind Superman zu töten. Clark hatte Lex’ Wutanfall beim Anblick des leeren Käfigs aus nächster Nähe beobachtet und ihm lief bei dem Gedanken daran jetzt noch ein Schauer über den Rücken.

Sollte er Lois suchen gehen? Das war nun wirklich albern – nicht schon nach sieben Minuten, acht, wenn er die vergangene Zeit dazu rechnete. Was würde Lois wohl sagen, wenn er nicht hier auf sie wartete wie verabredet? Sie hielt ihn ohnehin für überbesorgt. Ganz abgesehen davon wäre sie sehr wütend, wenn er zu spät käme. Nein, er musste warten, so schwer ihm das im Augenblick auch fiel. Noch einmal lauschte Clark angestrengt in die Nacht, doch das trug nicht zu seiner Beruhigung bei. Unruhig trat Clark von einem Fuß auf den anderen.

Etwas rollte klirrend über den Asphalt, als er dagegen stieß. Automatisch schaute Clark nach unten und fühlte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Das Etwas glitzerte. Es war ein Ohrring, den er heute Morgen noch gesehen hatte. Er blinzelte und versuchte tief durchzuatmen. Nervös wie er war, sollte er seine Schlüsse nicht übereilt ziehen. Mit einem flauen Gefühl im Magen ging Clark in die Knie und hob das kleine goldene Schmuckstück auf. Sein erster Eindruck hatte ihn nicht getäuscht. Es war tatsächlich ein Ohrring. Und auch sein Instinkt war richtig gewesen. Er kannte diese Ohrringe gut. Er war dabei gewesen, als Lois sie gekauft hatte. Nun wusste er, dass es keinen Sinn hatte, noch länger zu warten.

„Lois“, murmelte Clark gequält und das flaue Gefühl in seinem Magen breitete sich aus. Warum hatte er nicht noch einmal nach ihr geschaut und sich überzeugt, dass es ihr gut ging?

Wo sollte er sie bloß suchen? Nicht einmal Superman hatte bislang eine Spur von Luthor gefunden. Aber vielleicht war gerade das der beste Hinweis darauf, wo Luthor sich aufhielt. Ein Unterschlupf in den bleiverkleideten Bunkern unter der Stadt wäre ein ideales Versteck. Mit pochendem Herzen rannte Clark los, in einer Geschwindigkeit, die einem Menschen gerade noch angemessen war. In den düsteren Straßen von Suicide Slum fiel er in seinen zerschlissenen Kleidern vermutlich weit weniger auf als in seinem blauen Anzug. Das war alles, was ihn davon abhielt sich auf der Stelle in Superman zu verwandeln.

Es dauerte nicht lange, bis er den Zugang zur Kanalisation erreicht hatte. Hastig hob Clark das Gitter des Schachtes an, eilte hinunter und schaute sich um. Niemand war da, und so beschleunigte er seine Schritte, bis die Welt um ihn herum nur noch ein grauer Schleier war. Der Luftzug rauschte in seinen Ohren, während er auf seine Umgebung lauschte. Wasser tropfte von den Wänden und Rattenpfoten huschten über den Boden. Sonst war es geradezu bedrückend still.

Nachdem er einige Gänge vergeblich durchsucht hatte, blieb Clark schließlich stehen. Er seufzte frustriert auf. Mit all seinen Kräften sollte es doch wirklich schneller gehen, Lois zu finden. Aber hier unten war mehr Blei, als er jemals für möglich gehalten hätte. Es machte ihn so gut wie taub und blind. Er hatte sich selten so hilflos gefühlt, und das frustrierte ihn. Letztlich konnte er sich ja noch nicht einmal sicher sein, Lois hier unten zu finden. Doch wo sollte sie sonst sein? Unentschlossen schaute Clark auf die Kreuzung vor ihm. Jeder der drei Gänge, die er nun nehmen konnte, sah exakt gleich aus. Und keiner von ihnen erschien ihm besonders viel versprechend.

Er rückte seine Brille tiefer auf die Nase und starrte erneut ergebnislos in die Dunkelheit. Er blickte auf Wände und Wände und Wände. Die, die unter seinem Blick durchsichtig wurden, hatten dahinter wiederum Wände, auf die das nicht zutraf. Egal wohin er schaute, überall zeigte sich das gleiche Bild. Clark ballte die Hände zu Fäusten und versuchte sein rasendes Herz zu beruhigen. Luthor würde Lois nichts tun, nicht so lange er noch die Chance sah, Lois für sich zu gewinnen. Darauf musste er einfach vertrauen.

Mit einem letzten Blick auf die Kreuzung wandte Clark sich nach links, als er plötzlich ein Geräusch hörte, dass nicht von Rattenpfoten verursacht worden war. Angespannt lauschte er in die Stille, die sich endlos vor ihm ausdehnte. Hatte er sich das Geräusch nur eingebildet? Clark war beinahe überzeugt davon, als er endlich wieder etwas scheppern hörte. Dann eine Stimme, einen unterdrückten Schrei. Lois! Sein Herz schlug schneller und Clark wandte sich um und rannte in die Richtung, aus der der Laute gekommen waren.

Das Scheppern und Schleifen wurde lauter. Wieder hörte er einen erstickten Schrei und hastete weiter. Er bog um ein paar Ecken und wich Schutt aus, der aus der heruntergekommenen Decke gefallen war. Der Boden vibrierte unter seinen Füßen, als eine U-Bahn sich ihren Weg durch die Tunnel in der Erde bahnte. Lichter huschten über die Wände, die aus einem Lüftungsschacht kamen.

Lois, bitte halte durch, schickte Clark ein Stoßgebet zum Himmel. Er lauschte angestrengt auf ihre Stimme, doch die erstickten Rufe waren verstummt. Clarks Brust verengte sich vor Angst um seine Partnerin. Mit wenigen langen Schritten bog er um eine Ecke und war plötzlich nicht mehr in einem der engen Gänge, sondern in einem weitläufigen Raum. Düstere Maschinen in einer Ecke reihten sich um einen Glassarg, dessen Deckel zerstört war. Clark hatte ihn schon einmal in einer Friedhofsgruft gesehen.

In eine andere Ecke drängten sich zwei Feldbetten und am anderen Ende des Raumes stand Lex Luthor und schaute Clark mit einem diabolischen Lächeln auf den Lippen an. Seine Wangen wirkten eingefallen, seine Haut blass, doch das ließ ihn nur umso gefährlicher erscheinen. Seine Locken waren einer Glatze gewichen, mit der es ihm nun deutlich schwerer fallen musste, die Rolle des charmanten Milliardärs zu spielen.

„Luthor“, presste Clark zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Was haben Sie mit Lois gemacht?“

„Nun, sie denkt gerade über meinen Heiratsantrag nach, Kent“, gab er siegesgewiss zurück. „Oder sollte ich sagen Superman?“

Clark blieb abrupt stehen, als wäre er von einer Wand abgeprallt.

Luthors Augen hüpften und sein Mund verzog sich noch zu einem viel teuflischeren Grinsen. „Ich muss gestehen, ich bin ein klein wenig enttäuscht. Ich hatte mir bereits einen Plan zurechtgelegt, was ich mit Kent machen würde. Natürlich hat es auch einen gewissen Reiz euch gewissermaßen auf einen Schlag zu erledigen.“

Clark straffte die Schultern und ging einen Schritt auf Luthor zu. „Sie irren sich, Luthor. Superman wird jeden Moment hier sein“, sagte er bedrohlich ruhig. „Noch einmal werden Sie nicht entkommen. Wo ist Lois?“ wiederholte er und packte Luthor am Kragen, hob ihn ein paar Zentimeter vom Boden hoch und presste ihn gegen eine Wand.

„Nicht Superman, mh?“ lächelte Luthor süffisant. „Ich würde sagen, dann sind Sie außergewöhnlich kräftig für einen Menschen, Mr. Kent. Oder ist das nur ein lächerlicher Versuch mich zu verunsichern?“

Unwillkürlich glitt Clarks Blick auf seine Hand an Luthors Kragen, doch dann riss er sich zusammen. Luthor hatte keinen Beweis, er konnte ihn bluffen. Clark presste seine Kiefer fest aufeinander, sorgsam darauf bedacht, dass seine Miene keine Angst zeigte.

„Wo ist Lois!“, wiederholte er mit kalter Stimme und ließ Luthor langsam wieder sinken, jedoch nicht ohne ihn fester gegen die Wand zu pressen. „Lois!“, rief Clark laut und lauschte nervös in die Stille des Bunkers. Es kam keine Antwort. Nicht einmal ein Klopfen.

„Nicht doch, nicht doch, Superman“, entgegnete Luthor und bemühte sich Clarks Griff zu lösen. Clarks Schläfen pochten, doch er ließ es zu. „Es ist nicht besonders klug, den Mann anzugreifen, der gleich zwei Leben in Händen hält. Nigel – bringen Sie ihn herein!“

Clark fuhr herum und erblickte Nigel St. John, Luthors rechte Hand. Neben ihm lief ein von Blutergüssen übersäter Mike, der schäbiger aussah denn je. Sein Mantel war völlig zerfetzt und auch Nigel schien einige Blessuren von einem Kampf davon getragen zu haben. Mike hatte jedoch eindeutig den Kürzeren gezogen.

„Was soll das, Luthor?“, fragte Clark angespannt.

„Oh, nur eine kleine Versicherung, damit du nicht ausfallend wirst. Bewege dich nur einen Zentimeter, Superman und er ist tot.“ Luthors Augen blitzten und sein Mund lächelte, während er die Drohung ausstieß. Clark hatte nie verstanden, wie jemand so kalt und grausam sein konnte wie Luthor.

Um die Drohung noch zu bekräftigen setzte Nigel eine Pistole an Mikes Schläfe und zerrte ihm aus Clarks Sicht heraus. Selbst schneller als der Schall würde es ihm nicht gelingen, Nigel daran zu hindern den Abzug zu drücken. Um die Waffe mit seinem Hitzeblick einzuschmelzen müsste er den Kopf wenden. Clark ahnte, dass das bereits Provokation genug wäre. Seine Brust verengte sich, während er Luthor beobachtete. Was hatte dieser Kerl nur vor?

„Es wird Zeit, dass unser letzter Gast zu uns stößt“, fuhr Luthor ungerührt fort. „Gretchen, kommen Sie bitte mit Ms. Lane?“

Hohe Absätze klackerten über den Boden, vermischt mit dem wischenden Geräusch, das flache Schuhe machten, wenn man die Füße nicht vom Boden hob. Clark war sich sicher, dass die flachen Schuhe Lois gehörten. Sein Atem stockte. Er konnte hören, wie sie stolperte. Es kostete ihn all seine Selbstbeherrschung nicht zu ihr zu stürzen. Nur Augenblicke später kam Dr. Gretchen Kelly um die Ecke, Lois in eisernem Griff am Arm gepackt. Lois wehrte sich heftig, aber letztlich vergeblich, was für Dr. Kellys Kraft sprach.

„Sehen Sie denn nicht, was für ein Monster Luthor ist? Er wird sie hintergehen, so wie er alle hintergangen hat, die je mit ihm zu tun hatten“, vollführte Lois eine verbale Attacke, als ihre Hände nichts ausrichten können. Sie war an den Handgelenken gefesselt, wirkte sonst jedoch unverletzt. Clark atmete langsam aus.

„Hast du über mein Angebot nachgedacht, Lois?“, fragte Luthor selbstzufrieden, während sein Blick mehr auf Clarks Gesicht ruhte, als dass er Lois anschaute. „Mr. Kent hier war so freundlich herzukommen, um mir zu helfen dich zu überzeugen.“

„Clark!“ rief Lois entsetzt und ihre Augen weiteten sich.

Sie biss sich auf die Lippen, ein sicheres Zeichen, dass sie bereute, sich nicht mit ihm verabredet zu haben. Dann glitt ihr Blick in die Ecke, in der Mike und Nigel St. John stehen mussten. Ihr Mund öffnete sich leicht zu einem verwunderten Ausdruck, bevor Gretchen Kelly sie weiter schleifte, ebenfalls weg von Clark.

„Also, Lois. Wirst du meinen Heiratsantrag annehmen?“ Ungeduld schwang in Luthors Stimme mit. Sein Tonfall war noch kälter geworden und jagte Clark einen Schauer über den Rücken. Luthor war auch schon gut gelaunt gefährlich. Nun zuckte ein Muskel an seinem Kiefer, während er an Clark vorbei Lois fixierte.

Clark hätte fiel darum gegeben, ihr Gesicht zu sehen. So konnte er nur sehen, was sich in Luthors Miene spiegelte. Das Zucken des Muskels hatte sich verstärkt.

„Vergiss es, Lex. Ich werde dich nicht heiraten!“ zischte Lois wütend und Clark hörte, wie sie sich erneut gegen Gretchens Griff wehrte.

*Mach nur keine Dummheiten, Lois*, flehte Clark still, während er fieberhaft darüber nachdachte, wie er aus seiner prekären Situation herauskommen sollte.

„Superman wird jeden Moment kommen. Wir haben ihm gesagt, wo du zu finden bist. Du wirst eine sehr lange Zeit im Gefängnis verbringen“, erklärte Lois und Clark war sich sicher, dass sie in diesem Moment stolz das Kinn vorreckte.

„Ist das so?“ Das gefährliche Lächeln, das die ganze Zeit auf Lex Lippen gelegen hatte, breitete sich aus. „Nun, ich denke, es wird dich freuen zu hören, das Superman längst hier ist.“

Er trat einen Schritt vor und auf einmal hatte Clark eine schlimme Ahnung, wohin das alles führen würde. Luthor riss ihm die Brille von der Nase und packte seine Krawatte grob um den Knoten zu lockern, bis sein Hemd den Blick auf blauen Stoff freigab.

„Sieh ihn dir genau an, deinen Helden!“, höhnte Luthor und packte Clark an der Schulter, um ihn zu Lois herum zu reißen, damit sie ihm genau ins Gesicht sehen konnte. „Hier steht er und rührt sich nicht, weil ich sonst seinen Freund von der Straße umbringen würde. Dein Mann aus Stahl ist ein lächerlicher Schwächling!“

Mit großen Augen starrte Lois Clark an. Ihr Gesicht spiegelte ihre Gefühle wieder, wie ein offenes Buch. Schock, Unglauben und Erkenntnis wechselten sich ab. Die Art, wie sich ihre Lippen kräuselten, zeugten davon, dass sie sich zutiefst verletzt fühlte. Clark schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. Er hatte nie gewollt, dass sie es so erfuhr. Den ganzen Tag schon hatte er mit sich gerungen, hatte das für und wider erwägt und sich letztlich nicht getraut ihr die Wahrheit zu sagen. Mangel an Gelegenheiten, das war doch albern. Er hätte die Gelegenheit herbeiführen können, wenn er nur gewollt hätte.

„Bringen wir es endlich zu Ende!“, rief Luthor und zog etwas aus der Tasche. Aus den Augenwinkeln erkannte Clark ein Kästchen, das sich klickend öffnete, noch bevor er es richtig gesehen hatte.

Er musste nicht sehen, was darin war. Er kannte das schwammige Gefühl in seinem Kopf nur allzu gut. Für einen winzigen Augenblick hoffte er verzweifelt, dass er sich irrte. Doch die Welle aus Schmerz schwappte über ihn hinweg, nahm ihn den Atem und zwang ihn in die Knie.

„Clark!“, keuchte Lois entsetzt.

Er fing ihren besorgten Blick auf und erwiderte ihn mit einem schwachen, gequälten Lächeln. Seine Augen wanderten hinüber zu Mike, dessen Ausdruck schwer zu beschreiben war. Selbst Nigel St. John wirkte überrascht angesichts der Wirkung, die das Kryptonit auf ihn hatte. Luthor hatte den Stein nah an Clarks Gesicht herangebracht und unwillkürlich breitete sich Schweiß auf seiner Stirn aus. Dann ließ er den Stein in Clarks Manteltasche gleiten, wo er jedes einzelne Nervenende in Brand zu stecken schien. Unaufhaltsam sackte Clark zusammen und stützte sich auf die Hände, um nicht mit der Nase auf dem Boden aufzuschlagen. Krämpfe schüttelten seinen Körper, während er verzweifelt dagegen ankämpfte das Bewusstsein zu verlieren.

Aus den Augenwinkeln sah Clark, dass weder Nigel noch Gretchen Kelly auf ihre Gefangenen achteten. Eine bessere Chance würde er wohl nicht bekommen. Und eine weitere ebenfalls nicht. All seine Kraft zusammen nehmend richtete Clark seinen Hitzeblick auf Nigels Waffe, die bald klappernd zu Boden fiel. Nur einen Herzschlag später fixierte Clark die Waffe in Gretchen Kellys Hand bis er ihren spitzen Schrei hörte. Bevor Luthor wissen konnte, wie ihm geschah, hatte sich Clark auf ihn gestürzt und riss ihn zu Boden.

Für den kurzen Augenblick, da er die Überraschung auf seiner Seite hatte, behielt Clark die Oberhand. Doch Luthor erholte sich rasch und kämpfte sich mühelos frei. Er rollte Clark auf den Rücken und presste ihn mit einer Hand zu Boden. Mit der anderen Holte er aus und ließ seine Faust gegen Clarks Wangenknochen krachen. Für einen Augenblick sah Clark Sterne und seine Arme, mit denen er Luthor abgewehrt hatte, sanken kraftlos zu Boden. Wellen des Schmerzes ertränkten ihn, als das Kryptonit seine Wirkung von neuem entfaltete. Für den Moment war er abgelenkt gewesen, doch nun schwanden seine Kräfte rapide. Wieder spürte er Luthors Faust in seinem Gesicht und schmeckte Blut auf seinen Lippen.

„Clark!“ Ihre Stimme klang erstickt.

Lois brauchte Hilfe und er lag einfach auf dem Boden. Clark kämpfte gegen den Stein auf seiner Brust und holte tief Luft. Seine Rippen protestierten gegen die ungewohnte Anstrengung. Undeutlich sah Clark, wie Luthor zum Schlag ausholte.

„Clark!“ Ihr Ruf klang noch verzweifelter. Er musste zu ihr!

Konzentriert auf diesen Gedanken, mobilisierte Clark seine letzten Reserven und stieß Luthor von sich. Einen erneuten Angriff wehrte er mit einem kräftigen Tritt ab und schaute sich um. Die Szene war nicht ganz so, wie er erwartet hatte. Mike hatte Nigel St. John außer Gefecht gesetzt und stürzte sich nun ebenfalls auf Luthor. Lois rang noch mit Gretchen Kelly, hatte aber eindeutig die Oberhand. Mit einem gut platzierten Kick schickte sie die Ärztin zu Boden.

„Keine Bewegung!“ Mike fixierte Luthor mit kaltem Blick.

Er hielt eine Waffe in der Hand, vermutlich Nigels. Der Lauf war auf Luthor gerichtet und schwebte ruhig in der Luft. Mikes Bewegungen waren präzise, als hätte er in seinem Leben nie etwas anderes gemacht. Seine Augen waren kaum merklich geweitet und seine Lippen wirkten verkniffen. Das Bild verschwamm vor Clarks Augen, als ihn eine neue Woge von Schmerzen überrollte. Er hatte keine Kraft mehr, sich gegen die Schwärze zu wehren, die ihn verschlingen wollte.

„Clark!“, hörte er Lois Stimme undeutlich. „Du musst wach bleiben, hörst du?“ Sie rüttelte an ihm. „Komm schon, Clark! Wo hat er das Kryptonit hingetan.“

„..sche“, brachte er mühsam über die Lippen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen.

„…hast…gesagt?“ Ihre Stimme wurde undeutlicher. „Clark…konzentrier…musst….sagen…“

„Ta…tasche“, würgte Clark aus seiner schmerzenden Kehle hervor, bevor alles um ihn herum schließlich schwarz wurde.
Vega
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Winterstille [Inoffizieller Glückskeks 2012] 3/3

Beitragvon Vega » Sa 23. Jun 2012, 22:22

Ein seltsames Piepen war das erste, was Clark hörte, als er wieder zu Bewusstsein kam. Es klang dicht an seinem Ohr. Die Welt um ihn herum schien gedämpft und wie aus weiter Ferne zu ihm durchzudringen. Mühsam öffnete er ein Auge, das aber fast sofort wieder zufiel. Mehr als Schlieren in der Dunkelheit war nicht zu erkennen.

Zu dem Piepsen gesellte sich ein Zischen und verwirrt bemerkte Clark, dass kalte Luft in sein Gesicht gepustet wurde. Wieder versuchte er mühsam ein Auge zu öffnen, aber das wollte nicht recht gelingen. Jemand zerrte an seinem Oberkörper und dann spürte er etwas kaltes auf der Brust. Es klang als würde Stoff zerschnitten. Jemand berührte ihn kurz links und rechts unterhalb des Schlüsselbeins und rechts an den Rippen. Kurze Zeit später erklang ein weiteres Piepen.

„Sieht gut aus, das EKG“, murmelte jemand. „Oder?“ Die Stimme klang unsicher.

„Ich glaube er kommt zu sich“, sagte jemand anderes.

Erneut versuchte Clark die Augen aufzubekommen und wurde sofort von einem hellen Licht geblendet, das erst in sein linkes und dann in sein rechtes Auge strahlte. Seine Umgebung war etwas klarer geworden.

„Lassen Sie mich zu ihm!“ Lois Stimme klang ärgerlich. „Ich will ihn sehen, ich…“

Rücken, die Lois bisher verdeckt hatten, traten zu Seite. Ihr Gesicht war blass, ihre Lippen zitterten und ihre Augen glitzerten vor ungeweinter und nur mühsam zurückgehaltener Tränen. Ihre Lippen bewegten sich und formten stumm seinen Namen, wie Clark erkannte, nun da es nicht mehr so unendlich schwer war, die Augen offen zu halten. In ihrem Blick lag das schiere Entsetzen.

„Lois, geht es dir gut“, wollte er fragen, aber seinem Mund entwich nicht mehr als ein schwaches Stöhnen.

„Das reicht jetzt. Wir nehmen ihn mit. Hier können wir im Augenblick nicht mehr tun“, sagte jemand entschlossen und Clarks Augen schwammen hinüber in die Richtung, aus der er die Stimme gehört hatte. Ein Rettungssanitäter quittierte seinen Blick mit einem schwachen Lächeln. Auf seiner Stirn waren deutliche Sorgenfalten zu sehen. „Ein Wunder, dass er das überlebt hat.“

„Wohin bringen Sie ihn?“, fragte Lois besorgt.

„Ins Metropolis General.“

„Nein“, sagte jemand und erst einen Augenblick später wurde Clark bewusst, dass er selbst gesprochen hatte.

Auf keinen Fall konnte er in ein Krankenhaus! Das war völlig ausgeschlossen. Clark versuchte sich aufzurichten, doch seine Glieder waren schwer wie Blei. Alles, was er zustande brachte, war ein Zucken seiner rechten Hand. Etwas zog unangenehm und zu seinem Entsetzen entdeckte Clark eine Kanüle darin.

Der Sanitäter legte eine Hand auf seine Schulter und drückte ihn sanft zurück. „Superman, du brauchst ärztliche Hilfe. Wir bringen dich in ein Krankenhaus.“

Superman? Aber er hatte sich doch nicht… er war doch nicht… Die Erinnerung an die letzten Stunden kehrte langsam zu ihm zurück, sein Kampf mit Luthor, das Kryptonit. Luthor hatte gewusst, dass er Superman war. Er hatte das Kryptonit auf Clark angewendet. Wieso Superman? Sein Blick glitt erneut zu der Hand mit der Kanüle. Dunkelblauer Stoff bedeckte seinen Arm.

„Superman, vielleicht ist es wirklich am besten, wenn ein Arzt dich ansieht“, sagte Lois leise und kam einen Schritt auf ihn zu. Sie kniete sich neben ihn hin. „Es ist alles in Ordnung.“ Eine Träne rollte über ihre Wange. „Alles in Ordnung“, wiederholte sie, wie um sich selbst Mut zu machen. „Ich spreche noch kurz mit dem Inspektor.“

Im nächsten Moment spürte Clark wie er angehoben wurde. Ein klackerndes Geräusch entstand, als die Trage einrastete. Die Trage ruckelte, als sie über den Boden gerollt wurde, einen schier endlosen Gang entlang. Begleitet wurde die Fahrt vom unermüdlichen Piepen des Monitors, der sein EKG aufzeichnete, wie Clark jetzt erkannte. Die Luft in seinem Gesicht stammte von einer Sauerstoffmaske. Wie war er nur in diese Situation gekommen?

„Warten Sie.“ Clarks Stimme war kräftiger geworden. Sein Körper gehorchte ihm wieder, jedenfalls soweit, dass ihn die Aussicht in ein Krankenhaus zu kommen, massiv beunruhigte. „Ich komme nicht mit.“ Er nahm die Sauerstoffmaske vom Gesicht und richtete sich auf. Die Sanitäter stoppten.

„Aber Superman…“ protestierte der Rettungssanitäter, der vor ihm herlief. Er drehte sich um und Clark erkannte den Mann, den er schon in Luthors Versteck gesehen hatte.

„Nein“, wiederholte Clark und es gelang ihm sich aufzusetzen. „Ich fühle mich schon viel besser, wirklich.“

Dass er sich besser fühlte, war glatt übertrieben. Weniger miserabel hätte eher gepasst. Aber er war nicht mehr so schwach, dass ihm die Leute, die sich vor dem Eingang zu Luthors Katakomben vermutlich versammelt hatte, keine Angst einjagten. Eine ganze Meute von Reportern die sich gierig auf die Nachricht stürzen würden, das Superman eine Schwäche hatte. Es fehlte ihm gerade noch, dass ganz Metropolis wusste, das Kryptonit durchaus sehr real war.

Clark riss sich die Elektroden von der Brust und entdeckte, dass sein Kostüm zerschnitten war. Wunderbar. Der Stoff hätte so dich an seinem Körper eigentlich unzerstörbar sein sollen. Andererseits hatte er eine Kanüle im Arm. Sein Magen rebellierte unwillkürlich und er schmeckte etwas Saueres im Mund. Angestrengt schluckte er es herunter. Bemüht nicht weiter darüber nachzudenken, was diese Kanüle bedeutete, begann er das Pflaster daran zu lösen.

„Wirklich, Superman, das ist keine gute Idee“, versuchte der zweite Sanitäter, ein Junge in Jimmys Alter ihn zur Vernunft zu bringen. Seine Augen hüpften und er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen, während er darüber nachdachte, was er sagen konnte, um Superman zur Vernunft zu bringen.

„Es ist alles in Ordnung mit mir und ich werde nicht ins Krankenhaus gehen“, erklärte Superman stur und riss die Kanüle aus seiner Hand. Er biss sich auf die Zähne und musste schockiert feststellen, dass die Einstichstelle stark zu bluten anfing.

„Superman, was machst du da?“ rief Lois plötzlich und eilte vom fernen Ende des Tunnels auf ihn zu.

Clark sah rasch zu ihr hinüber. Ihr Gesicht spiegelte eine Mischung aus Besorgnis und Zorn wieder.

„Das ist doch kompletter Wahnsinn“, schalt sie und war schneller bei ihm, als er für möglich gehalten hatte. „Eben noch hast du kaum geatmet und jetzt…“ Sie packte die Sauerstoffmaske, die ihn seinem Schoß lag und drückte sie entschlossen auf sein Gesicht. „Du solltest wirklich von einem Arzt angesehen werden.“

Clark entwand ihr die Maske wieder. „Lois, was soll ein Arzt schon tun? Ich danke dir für die Hilfe, Ihnen allen“, sagte er mit einem Blick hinüber zu den Sanitätern. „Aber verstehst du denn nicht? Es ist schlimm genug, dass all diese Leute nun über das Kryptonit Bescheid wissen. Ich will nicht, dass auch noch die versammelte Presse davon erfährt.“

„Ich bin auch Journalistin“, sagte Lois in bedrohlichem Tonfall.

„Ich…“, Clark fühlte wie sein Mund trocken wurde und sein Herz rasch zu schlagen begann. Ihm schien plötzlich die Luft zum Atmen zu fehlen. Würde Lois tatsächlich darüber schreiben? Er hatte die tiefe Verletztheit in ihrem Ausdruck gesehen, als Luthor ihr seine Identität enthüllt hatte. „Bitte, schreib nichts darüber“, bat er mit rauer Stimme. „Ich… es tut mir so Leid. Aber ich kann nicht ins Krankenhaus. Meine Kräfte werden zurückkommen. Ich… bitte, das ist auch so schon beängstigend genug.“

Clark schwang seine Beine über den Rand der Trage hinweg und einer der Sanitäter reichte ihm wortlos die Hand und half ihm hinunter. Seine Beine hielten der plötzlichen Belastung stand. Unsicher suchte er Lois Blick. Der kämpferische Ausdruck in Lois’ Gesicht wurde ein paar Grad milder und sie nickte kaum merklich.

„Wie willst du denn unbemerkt hier herauskommen?“ fragte sie in sachlichem Ton und ihr Blick glitt über die zerschnittene Front des Anzugs. Er hatte sonst keine Kleidung mehr, nichts, mit dem er sich unbemerkt in Clark Kent verwandeln konnte.

„Wird schon gehen“, murmelte Clark unbestimmt und konzentrierte sich darauf, was er an Reserven noch haben mochte. Viel war es nicht, doch es reichte für einen allzu kurzen Sprint, so dass Lois und die Rettungssanitäter Superman in einem Wirbel aus Farben verschwinden sahen.

* * *

Clark lehnte sich erschöpft an eine Wand und sank zu Boden. Der Sprint hatte ihn ausgelaugt und doch kaum mehr als ein paar Gänge weiter gebracht. Hier waren keine Polizisten mehr und auch keine Sanitäter, die es auf ihn abgesehen hatten. Dass er Lois stehen gelassen hatte, würde sie ihm vermutlich noch schwerer verzeihen als seine Täuschung. Aber was hätte er machen sollen? Sich seelenruhig ins Krankenhaus bringen lassen und der Welt zeigen, wie verwundbar Superman war? Sich sezieren lassen wie einen Frosch? Er konnte die Stimme seines Vaters praktisch hören.

Das war doch Schwachsinn – er war ein Opfer seiner eigenen Angst. Und die Ärzte im Krankenhaus würden ihn auf keinen Fall sezieren. Trotzdem. Ihm war unbehaglich bei dem Gedanken, dass die versammelte Klatschpresse sich über Kryptonit das Maul zerriss und noch ein paar weitere Wahnsinnige auf falsche Gedanken brachte.

„Hab ich mir doch gedacht, dass ich dich hier finde“, sagte eine leise Stimme.

Clark zuckte zusammen und versuchte sich aufzurichten, doch seine wackligen Beine wollten nicht mehr gehorchen. Sein Herz schlug wie wild, bis er Mike erkannte. Der zerlumpte Obdachlose kam auf ihn zu. Er hinkte ein bisschen, doch auf seinem Gesicht war ein Lächeln zu sehen.

„Danke, Mann.“ Mike blieb ein paar Meter von Clark entfernt stehen und sein Lächeln bröckelte etwas. „Wenn ich gewusst hätte, was Luthor dir antut, hätt’ ich dich nie in diese Sache hineingezogen“, murmelte Mike schuldbewusst und ging noch einen Schritt auf Clark zu. Er hielt ein Bündel im Arm, das er Clark entgegen streckte. „Schätze, das brauchst du jetzt.“

„Es ist nicht deine Schuld, was Luthor getan hat. Es wäre auf jeden Fall so gekommen. Dank dir war ich wenigstens vorgewarnt“, gab Clark leise zurück und inspizierte das Bündel. Es waren seine Kleider. „Wie hast du mich gefunden?“

„Du hinterlässt eindeutige Spuren“, erwiderte Mike und deutete auf Clarks blutende Hand. Die hatte er völlig vergessen. „Du hättest bei den Sanitätern bleiben sollen“, fügte Mike hinzu und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Und deiner Partnerin würd ich gerade aus dem Weg gehen.“

Clark nickte abwesend und nahm das Bündel entgegen. „Lois hat jedes Recht wütend auf mich zu sein. Sie hätte es nicht so erfahren dürfen“, sagte er und schluckte schwer. „Ich war dumm, sie nicht einzuweihen.“ Noch einmal versuchte Clark vergeblich auf die Beine zu kommen, bis Mike ihm schließlich beisprang. Mit vereinten Kräften gelang es ihm auf die Füße zu kommen und er lehnte sich erschöpft an die Wand.

„Danke“, murmelte er kraftlos. „Ich hasse es, so hilflos zu sein. Das bin ich nicht gewohnt.“ Clark verstummte, als ihm bewusst wurde, dass er sich gerade einem im Grunde genommen Fremden anvertraute. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das Mike sein Geheimnis kannte.

„Ich habe noch einmal darüber nachgedacht, was du gesagt hast, Clark“, wechselte Mike abrupt das Thema, als hätte er Clarks Missbehagen gespürt. „Ich meine über einen Umzug. Du hast Recht. Es ist besser, wenn ich Metropolis verlasse. Je weniger Menschen hier wissen, wer du bist, desto besser. Irgendwann wird ein neuer Luthor kommen.“

Clark war gerade dabei gewesen, sich aus seinem Anzug zu befreien. Nun hielt er erstaunt inne und hob die Brauen.

„Nun, offensichtlich ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt darüber zu sprechen“, fügte Mike mit einem Blick auf Clarks schweißüberströmte Stirn hinzu. „Wie auch immer, ich denke, es wäre besser, wenn ich hier verschwinde.“

„Es war egoistisch von mir, dich aus der Stadt haben zu wollen“, entschuldigte sich Clark, während er das Cape löste.

„Es war egoistisch von mir, bleiben zu wollen. Aber ich denke, es wird Zeit für einen Neuanfang“, entgegnete Mike.

Eine Weile war es still. Clark fuhr fort sich auszuziehen und schlüpfte aus dem oberen Teil seines Anzugs. Wortlos reichte ihm Mike das ausgewaschene, muffige T-Shirt aus dem Bündel Kleidung.

„Was hältst du von Hawaii?“ fragte Clark, während er das Shirt überzog. „Ich kenne dort jemanden, der eine kleine Pension betreibt. Sein Englisch ist allerdings nicht allzu gut und er bräuchte dringend jemanden, der ihm mit den Gästen und den Behörden hilft.“

„Hawaii?“, fragte Mike zweifelnd und suchte aus dem Haufen Kleidung in seinen Händen eine Hose heraus.

„Zu warm? Es gibt da noch eine Frau in Schottland, die mit ihrem Hof völlig überfordert ist, seit ihr Mann gestorben ist. Noch schlägt sie sich ganz gut. Aber ich glaube, jemand der ihr hilft, wäre ihr nur allzu recht“, schlug Clark vor.

„Willst du mich verkuppeln oder mir einen Job besorgen?“ Auf Mikes Gesicht war ein wissendes Lächeln getreten. „Ich denke eigentlich, dass ich ganz gut allein auf mich aufpassen kann“, sagte er eine Spur schärfer.

„Daran habe ich keinen Zweifel“, beeilte Clark sich zu sagen. „Ich wollte dich nicht beleidigen. Sobald ich kann, bringe ich dich hin, wo du willst. Wenn du lieber in Metropolis bleiben willst, dann bleib. Ich dachte, ein Neuanfang wäre vielleicht einfacher, wenn du einen Ausgangspunkt hast.“

„Wie alt war diese Schottin doch gleich?“

* * *

Unschlüssig starrte Clark auf die Tür zu Lois’ Apartmenthaus. Er war so weit gekommen, es sollte nicht so schwer sein, diese letzten paar Stufen in Angriff zu nehmen. Doch er brachte nicht den Mut dafür auf. Stattdessen schaute er nach links und rechts die Straße entlang, die wie ausgestorben vor ihm lag. Es war spät geworden, vielleicht zu spät für einen Besuch. Nach Hause zu kommen und sich umzuziehen, hatte mehr Zeit in Anspruch genommen als Clark für möglich gehalten hatte. Er verließ sich mehr auf seien Kräfte als ihm bewusst war. Und nun war es kurz nach Mitternacht.

Aber was für eine Rolle spielte das schon? In Lois’ Wohnung brannte noch Licht. Vielleicht hätte er doch anrufen sollen, um mit ihr zu sprechen. Um auszutesten, wie sicher der Grund sein würde, auf dem er sich bewegte. Es stand außer Frage, dass Lois wütend war. Zu wütend um ihn anzuhören? Wäre sie in ein paar Stunden vielleicht ruhiger? Clark ahnte, dass warten alles nur schlimmer machen würde. Er nahm einen tiefen Atemzug und nahm sich die erste Stufe vor, dann die zweite.

Am Ende der Treppe war er schweißnass und atmete schwer. Die Welt drehte sich um ihn und er blinzelte, bis er den richtigen Klingelknopf ausgemacht hatte. Eine ganze Weile lang geschah nichts, so lange, dass Clark sich zu fragen begann, ob er richtig geklingelt hatte. War Lois überhaupt zu Hause?

„Ja?“ Die Sprechanlage klickte und Clark konnte Lois atmen hören.

„Lois? Hier ist Clark. Ich muss mit dir reden.“ Er war noch immer außer Atem und schaffte es doch weniger verzweifelt zu klingen als er war.

Wieder war es still, bis auf Lois’ regelmäßige Atemzüge, die kratzend durch die Sprechanlage zu ihm drangen. Noch hatte sie nicht aufgelegt, noch hatte er eine Chance. Die Sekunden vergingen, bange Sekunden, während derer Clark halb erwartete, dass er doch noch das Klicken des Hörers hören würde. Oder das Lois antwortete: „Aber ich nicht mit dir.“ Die Worte kamen nicht, dafür aber auch nichts anderes.

„Bitte, Lois. Lass mir wenigstens eine Chance mich zu entschuldigen“, flehte er leise und starrte die Tür an, als könnte er sie dazu zwingen aufzugehen. Unter anderen Umständen hätte er sie dazu zwingen können, mit ihm zu sprechen, ihn anzusehen. Ihm wurde schmerzlich bewusst, wie unfair das ihr gegenüber war. „Bitte Lois.“ Wiederholte er, statt die Drohung auszusprechen, die ihm für einen kurzen Moment auf der Zunge gelegen hatte. *Ich warte hier, du entkommst mir nicht.*

Wieder herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. „Okay“, sagte Lois schließlich und Clark hörte endlich das erlösende Summen.

Er drückte die Tür auf und sah vor sich eine weitere Treppenflucht, die zum Aufzug führte. Es war absurd, wie viel Treppen dieses Haus hatte, wo es doch einen Aufzug gab. Clark hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht. Er hatte den Stufen immer den Vorzug gegeben. So lange es immer noch dunkel war, würde er eine Ausnahme machen müssen. Als sich die Aufzugtüren schlossen, stand ihm wieder der Schweiß auf der Stirn. Er konnte sich nicht daran erinnern, sich in Smallville derart miserabel gefühlt zu haben. Aber andererseits hatte er noch ein paar Sonnenstrahlen abbekommen, nachdem er dort dem Kryptonit ausgesetzt gewesen war.

Die Aufzugtüren öffneten sich und entließen Clark auf den bekannten Flur, den er schon hundertmal hinunter gegangen sein musste. Nie war ihm der Weg so schwer gefallen. Lois erwartete ihn mit vor der Brust verschränkten Armen. Ihre Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst und sie ruckte kaum merklich mit dem Kopf als Clark schließlich vor ihr stand.

„Lässt du mich rein?“, fragte er leise.

Wortlos trat sie einen Schritt beiseite und ließ ihn an sich vorbei in die Wohnung. „Ich hatte gedacht, du traust dich nicht mehr her“, sagte sie, nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte und reckte das Kinn.

„Es tut mir Leid, Lois“, erklärte Clark niedergeschlagen. „Ich hätte es dir längst sagen sollen. Aber ich bin ein Feigling. Ich hatte Angst, dass die Wahrheit alles verändern würde.“ Er stockte und versuchte aus ihrem Gesicht zu lesen, aber ihre Miene war weiterhin undurchdringlich und abweisend. „Und so ist es auch, oder nicht? Oh, ich hätte nie zulassen dürfen, dass du es von ihm erfährst, von Luthor. Ich hätte es dir selbst sagen sollen, im geeigneten Moment. Aber weißt du was? Den scheint es nicht zu geben, ich meine…“

Clark fiel auf, dass er selbst gerade in diese manische Form von Plappern verfiel, wegen der er Lois immer wieder hochnahm. Ihr war es ebenfalls aufgefallen, denn für den Bruchteil einer Sekunde konnte er ein Lächeln auf ihren Lippen entdecken, dass rasch wider verschwand. Danach war er sich nicht sicher, ob es wirklich da gewesen war.

„Warum Clark?“, fragte Lois und schaute ihn eindringlich an. „Warum hast du mir das nur angetan?“ Mit einem Schritt war sie bei ihm und ließ ihre Fäuste auf seine Brust herabregenen, immer wieder und wieder, bis sie sich ihm um den Hals warf und haltlos schluchzte. „Ich hatte solche Angst um dich. Lex hat dich beinahe umgebracht. Und dann stürmst du einfach davon, obwohl du dich kaum auf den Beinen halten kannst. Du bist ein solcher Idiot.“

Unter ihren Schlägen war Clark zurückgewichen, bis er mit dem Rücken zur Tür stand. Er schluckte schwer, während er eine weinende Lois in den Armen hielt, eingekeilt zwischen ihr und der Wohnungstür. Was erwartete sie jetzt von ihm? Das er sie tröstete? Er, der sie überhaupt erst zum weinen gebracht hatte? Hatte er sich nicht geschworen, niemals ein Grund für ihre Tränen zu sein? Und nun war er kein Stück besser, als die anderen.

„Es tut mir so Leid, Lois“, sagte er leise. „Ich wusste einfach nicht was ich tun sollte. Ich hatte Angst, Angst davor dir gestehen zu müssen, dass ich dich zwei Jahre lang belogen habe.“ Behutsam löste er ihren Klammergriff um seine Schultern und schob sie ein Stückchen von sich weg, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte. „Wie hätte ich dir das alles erklären sollen? Im Nachhinein fällt es mir selbst schwer, der verdrehten Logik hinter meinen Entscheidungen zu folgen. Ich hätte es dir spätestens erzählen sollen, als ich gehört hatte, das Luthor wieder aufgetaucht war. Aber ich dachte, es wäre nicht richtig, es dir nur zu erzählen, weil es scheinbar keinen anderen Weg mehr gab.“ Clark lachte freudlos. „Du hast vollkommen Recht. Ich bin ein Idiot.“

Noch immer rannen Tränen über Lois’ Gesicht. Aber sie schluchzte nicht mehr. Sie hielt die Lippen fest aufeinander gepresst, als würde es sie alle Kraft kosten, ihre Beherrschung zu wahren. Sie so zu sehen, versetzte Clark einen Stich.

„Wieso wusste Lex eigentlich, dass du Superman bist“, fragte sie schließlich.

„Ich habe mich vermutlich bei der Schießerei in Suicide Slum verraten“, erwiderte Clark mit ruhiger Stimme.

„Und dieser Obdachlose?“ fuhr sie beherrscht fort, nun Zoll für Zoll Mad Dog Lane.

„Mike hatte es in dieser Nacht ebenfalls herausgefunden“, murmelte Clark angespannt.

Er war sich nicht sicher, ob Lois’ Stimmungswechsel ein gutes Zeichen war. Wenn sie ihren Panzer wieder um sich herum errichtete und sich damit vor ihm schützte, so hatte er in dieser Nacht mehr verloren, als ihm Kryptonit jemals nehmen könnte. Und wie sollte sie ihm auch verzeihen, dass Lex Luthor und ein Obdachloser namens Mike sein Geheimnis vor ihr erfahren hatten?

Lois nickte stumm und wandte sich von Clark ab. Sie ging ein paar Schritte von ihm weg in die Mitte des Wohnzimmers. Clark stand weiter mit dem Rücken zur Tür und spürte sein Herz wild klopfen.

„Lois…“, er schaffte es nicht, weiter zu sprechen.

Was erwartete sie nun von ihm? Das er ging, nach allem, was er ihr zugemutet hatte? Würde sie ihm noch eine Chance geben, es in Zukunft besser zu machen? Wenn er so darüber nachdachte, dann war er sich nicht sicher, ob er überhaupt eine verdient hatte.

„Es tut mir leid, Lois“, wiederholte er die Worte, von denen er ahnte, dass sie sinnlos waren. „Ich war so daran gewöhnt, vor allen Leuten zu verbergen, wie anders ich bin. Du warst der erste Mensch, dem ich wirklich davon erzählen wollte. Aber als ich mir dessen sicher war, da war alles schon so kompliziert geworden.“

„Ich war in Superman verliebt“, sagte Lois ruhig und drehte sich wieder zu ihm um.

„Was?“, fragte Clark, völlig davon verwirrt, das Lois etwas gesagt hatte.

„Ich war in Superman verliebt“, wiederholte sie. „Das hat es kompliziert gemacht.“

Clark nickte. „Ich war eifersüchtig“, gab er peinlich berührt zu. „Es ist dumm nicht wahr? Ich wollte dich zu einer Wahl zwingen, die du gar nicht hättest treffen müssen. Ich wollte, dass du dich für mich entscheidest und dabei hattest du das schon getan. Nur war ich zu verbohrt, das zu erkennen. Es tut mir Leid.“

„Ich war ebenfalls verbohrt“, gab Lois zurück und ihr Mund verzog sich zu einem schmalen Lächeln. „Zu verbohrt um den Mann hinter dem Anzug zu sehen. Du bist in Luthors Katakomben gekommen, obwohl du geahnt haben musst, dass er Kryptonit hatte. Du hast mich da unten gerettet auch ohne deine Kräfte.“

Clarks Herz setzte für einen Schlag aus. „Soll das heißen, dass du mir noch eine Chance gibst?“ fragte er ungläubig.

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nur wenn du mich endlich um ein Date bittest.“

Ende
Vega
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